Autor: Tadeusz Wojnarski jr.
Im Mai 1946 wurde die Demobilisierung des Polnischen Korps und die Ausreise seiner Soldaten aus Italien nach Grossbritannien angekündigt. Den heimatlos gestrandeten Polen wurden noch die Alternativen überlassen, entweder trotzdem zurückzukehren oder sich sonst irgendwo im Westen anzusiedeln. Die überwiegende Mehrheit emigrierte auf die Britischen Inseln, einige entschieden sich für Polen, die restlichen haben sich über die ganze Welt verstreut. Mein Vater war in der dritten Gruppe. Er wollte nicht nach Polen zurückkehren, denn er fand, dass zwar „der Krieg zu Ende [war, aber] für [ihn] dauerte er noch weitere 45 Jahre. Wer sich der Niederlage bewusst war, kehrte nicht nach Polen zurück. Er kämpfte weiter, mit anderen Waffen.“ 1 Und das tat er auch. Nach Grossbritanien, welches – aus Sicht aller in Italien kämpfenden polnischen Soldaten – die Unabhängigkeit ihrer Heimat unloyal den Sowiets „verkaufte“, wollte er auch nicht:
Für mich war allein der Gedanke, mich in England niederzulassen, kein herzensschöner. […] Was die Engländer uns angetan haben, indem sie ihre Verpflichtungen gegenüber Polen nicht einhielten, wirkte sich negativ aus auf meine Einstellung zu diesem Land. Und was werden sie jetzt mit uns tun, wenn sie uns nicht mehr brauchen?2.
Zu dieser Zeit traf er in Rom Staszek, mit dem er im Irak das Regimentstheater organisiert hatte und mit dem er kämpfend den gesamten Italienfeldzug durchlief. Auch Staszek wollte nicht nach Polen zurückkehren. So dachten sie gemeinsam über die Zukunft nach. Einmal platzte Staszek mit einer erstaunlichen Informationen herein:
«Weisst Du, dass die Spanier bei sich jungen Menschen Studien anbieten, die das Unglück traf, sich im sowjetischen „Orbit“ wiedergefunden zu haben?» Diese Nachricht war so schockierend, dass ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Staszek war sich bewusst, dass das, was ich von ihm vernahm, mich zutiefst erschütterte. «Es überrascht mich nicht, dass das, was ich dir gesagt habe, dich stutzig macht, aber es ist kein Scherz, es ist absolut wahr». Ich wusste, dass Staszek sich niemals solche Scherze erlauben würde. Die Informationen über Spanien hatte er von Jesuiten erhalten, mit denen er enge Kontakte pflegte. «Weisst Du, ich weiss wirklich nicht, wie ich auf einen solchen Vorschlag reagieren würde», sagte ich, nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte. «Weil die Angelegenheit nicht nur wichtig, sondern auch dringend ist, müssen wir uns schnell und gründlich mit ihr vertraut machen. Ich weiss, mit wem man in der Kulturabteilung des Zweiten Polnischen Korps darüber reden muss. Wir müssen beide dorthin fahren und uns mit der Situation vor Ort vertraut machen.»
Mein Vater hatte Bedenken, nach Spanien auszuwandern:
In Spanien ist Franco, eine umstrittene Persönlichkeit, aber den Spaniern kann man nicht vorwerfen, feindlich gegenüber Polen gesinnt zu sein. Ein katholisches Land, und Franco gewann den Kampf gegen die Bolschewiken, die sich von der anderen Seite Europas aus eine Position zur geplanten Übernahme des ganzen Kontinents erkämpfen wollten. Die Spanier hegen uns gegenüber sicher viel Freundschaft, und wir können Franco nicht mehr als Verbündeten Hitlers betrachten, vor allem jetzt, wo dieser und seine Herrschaft weg sind.
All das muss sich Anfang September in Rom ereignet haben, eine Zeit von Bangen, Zweifeln, intensiven Zukunftsplänen und schwierigen Entscheiden. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass diese Umstände Vaters schöpferische Arbeit hemmten. Aus diesen knapp drei Wochen gibt es keine Arbeiten, zumindest im Nachlass.
Die Leitung des Zweiten Polnische Korps hatte damals ihre Büros in Ancona. Gemeinsam machten sich die zwei Freunde auf den Weg. In seinen Memoiren schrieb Vater selten Daten, aber seine datierten Bilder geben oft präzise Aufschlüsse. Sie nahmen den Zug über Orvieto, eine Stadt mit wunderbaren Kunstschätzen, von denen er auch später schwärmte. Diese zu besuchen konnte er sich nicht entgehen lassen. Wie dies zwei Zeichnungen belegen, legte er hier am 5.9.1946 einen Zwischenhalt ein (Abb. 171, 172), vermutlich die ersten Arbeiten seit den Sommerferien.
Im Büro der Kulturabteilung wurden sie sehr freundlich empfangen. Man erklärte ihnen, dass die Initiative von der internationalen katholischen Organisation „Pax Romana“ ausging. Sie wollten Studenten von Ländern, deren überwiegende Mehrheit katholisch war, die Möglichkeit geben, an Universitäten im katholischen Geist zu studieren. Dieser Plan umfasste alle vom Kommunismus besetzten Länder, mit Polen an der Spitze.
Die Kulturabteilung des Zweiten Polnischen Korps kümmerte sich um alle Formalitäten im Zusammenhang mit der Übersiedlung dieser ersten Gruppe von 20 polnischen Studenten nach Spanien. Staszek und Vater beschlossen, gemeinsam auszureisen. Noch in Ancona wurde Vater zum Leiter dieser Gruppe ernannt, weil er der einzige Offizier war. Am 12. September 1946, am Tag seines 24. Geburtstags und kurz vor der Rückkehr nach Rom, zeichnete er den Palazzo delle Poste (Abb. 173).
Nach ihrer Ankunft in Rom gingen sie an die Formalitäten und lernten Spanisch. Vater schuf in dieser Zeit eine schöne Skizze der Engelsburg (Castel San Angelo, 23.9.1946, Abb. 174), die ein Jahr später in Madrid den Umschlag seines Ausstellungskatalogs (Dibujos de TW, Madrid 1947) zierte. Ansonsten war er in dieser Zeit nicht sehr schöpferisch. Im Oktober noch kurze Reisen nach Pietracamela (Abb. 175) und nach Bologna (Abb. 176, 177), in Rom hielt er dann nur noch die Brücke Ponte Cavour auf Papier fest (26.10.1946, Abb. 178).
Staszek ging schliesslich nicht nach Spanien. Er hatte eine tragische Nachricht von seiner Familie aus Polen erhalten. Was, blieb sein Geheimnis. Er kehrte nach Polen zurück.
Vermutlich am 10. November brach Vater mit einer Gruppe von zwanzig polnischen Soldaten nach Genua auf, im Gepäck seine Demobilisierungurkunde3 welche am 9. November ausgestellt wurde, mit dem eigentlichen Demobilisierungsdatum, dem 14. November 1946. Mit dabei waren zwei alte Bekannte, der Kriegskamerad Tadek Malinowski und der Studienkolleg Mirek Sokołowski, mit dem er 1953 in Madrid an einer Gruppenausstellung teilnehmen wird. Am 12. November griff er noch einmal zu Tusch, Feder und Papier, um das Hafengebäude „Hennebique Silo» zu skizzieren (Abb. 175), sein letztes Werk in Italien für viele Jahre.
Die Soldatenkomödie neigte dem Ende zu …
Vor mir öffnete sich das Meer und eine unbekannte Zukunft … 4
1 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998
2 ebenda
3 Demobilisierungurkunde, im Familienarchiv in der Schweiz.
4 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998
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