TADEUSZ WOJNARSKI - POLNISCHE DIASPORA IN DER SCHWEIZ:
DER KAMPF MIT ANDEREN WAFFEN

Zur Erinnerung an Piotr Adamowski

Anna Stuetzle-Dobrowolska, Mai 2023

Strona narazie tylko w języku niemieckim

Piotr Adamowski, Barcs 1940

Februar 1940 nach der Flucht in Barcs, Südungarn (P.A. in der Mitte)

P. Adamowski (2. von rechts) mit anderen Internierten in Einsiedeln, November 1941

Abendkurs der polnischen Volkshochschule in Zürich (vorn: P.A., Helena Pużynska, hinten v.r.: Wojciech Majdura, -?- , Antoni Dobrowolski)

P.A. als Trauzeuge bei der Hochzeit von Margrit Zurbuchen und Antoni Dobrowolski, 9.10.1954

Anna Dobrowolska: „Wie ich mit meinem Götti das Osternestchen suchte …»  ca. 1961 

Piotr Adamowski wurde am 5. Oktober 1904 im Bauerndorf Lisowce in Ostpolen (heute Lysivtsi in der Ukraine) geboren. Als Kind erlebte er den Ersten Weltkrieg und nahm als Jugendlicher am Polnisch-Russischen Krieg teil.

Später schloss er ein rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Lwów (Lemberg) mit dem Titel Magister iuris ab. Er arbeitete als Gerichtspräsident in Chodorów, als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach.

Dem Aufruf der polnischen Exilregierung folgend, flüchtete er sofort durch die Karpaten nach Ungarn und gelangte schliesslich über den Balkan und Italien nach Frankreich. Dort kämpfte er als Soldat der 2. Polnischen Schützendivision zusammen mit Frankreich gegen die deutsche Wehrmacht. Im Juni 1940 überschritten zusammen mit dem 45. französischen Armeekorps, das an der Grenze des Berner Juras in die Enge getrieben worden war, 12’000 Polen die Schweizer Grenze, wurden entwaffnet und in Lagern untergebracht.

Die internierten Polen wurden häufig in Berggebieten für Schwerarbeiten eingesetzt. Piotr Adamowski war bis im Winter 1940/41 am Bau der Sustenpass-Strasse beteiligt, konnte jedoch bald ins Hochschullager nach Winterthur wechseln.

Als Hörer nahm er an juristischen und pädagogischen Vorlesungen der Universität Zürich teil, hatte er sich doch bereits in der Heimat mit Kinder- und Jugendrecht beschäftigt. Nun leistete er seinen Arbeitseinsatz als Praktikant in verschiedenen «Erziehungsanstalten».

Er arbeitete in Albisbrunn und im Erlenhof Arlesheim mit «schwererziehbaren» Jungen, sowie in der Anstalt Regensberg mit geistig behinderten Kindern und Jugendlichen. Dort freundete er sich auch mit dem Leiter-Ehepaar und den Erzieherinnen an.

Als 1946 in Trogen das Kinderdorf Pestalozzi für Kriegswaisen aus ganz Europa eröffnet wurde, übernahm Piotr Adamowski das Amt des Hausvaters und Lehrers im polnischen Haus Orleta, bis er sich im Sommer 1948 einer schweren Operation unterziehen musste.

Nach Kriegsende sollten alle internierten Militärpersonen in ihre Heimatländer repatriiert werden. Für die durch den Krieg staatenlos gewordenen Polen war dies höchst problematisch und geradezu unmöglich für jene aus den östlichen Gebieten, welche sich die Sowjetunion neu als Ukrainische SRR einverleibt hatte. Unter der neuen kommunistischen Regierung Polens hätten die meisten von ihnen mit politischer Verfolgung rechnen müssen. Auch für Piotr Adamowski mit seinem Beruf und seiner patriotischen politischen Gesinnung kam eine Rückkehr nicht in Frage. Vor dem Kriege war er Mitglied der polnischen Bauernpartei gewesen, ausserdem war er überzeugter Katholik. So hatte er sich um Auswanderung in ein anderes Land zu bemühen, da ihm die Schweiz kein Bleiberecht gewährte.

Von April bis Ende 1949 suchte er nach Möglichkeiten in England. Dort traf er polnische Freunde wieder und versuchte, mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sein besonderes Anliegen galt wiederum Kinderheimen und -Dörfern. Er besuchte u.a. die Dorfgemeinschaft Camphill in Aberdeen, welche von Karl König, einem aus Wien emigrierten jüdischen Kinderarzt als heilpädagogisch-sozialtherapeutische Einrichtung nach den Ideen Rudolf Steiners für eine soziale Erneuerung gegründet worden war.

Nach einem Aufenthalt, in Frankreich, wo er in Andrest / Haute Provence ein weiteres Kinderheim besichtigte, kehrte Piotr Adamowski 1950 nach Zürich zurück. Eine Auswanderung in die USA oder nach Australien schien ihm nun aufgrund seines Alters und seiner geschwächten Gesundheit aussichtslos.

Bereits bei seinem Arbeitseinsatz im Heim Albisbrunn hatte Piotr Adamowski einen reformierten Pfarrer kennen gelernt. Dieser später als «Flüchtlingspfarrer» bekannt gewordene Paul Amacher nahm ihn in sein Haus und seine Familie in Zürich-Oerlikon auf und unterstützte ihn u.a. bei Gesuchen an die Fremdenpolizei um Aufenthaltsbewilligung. Während all der Jahre war er zum Freund und wichtigen Gesprächspartner geworden. Lange Briefe, von Piotr Adamowski in einem recht guten Deutsch verfasst, vermitteln den regen Gedankenaustausch, welchen er mit dem Pfarrer pflegte.1

Piotr Adamowski war ein tiefgläubiger Mensch. Die Verständigung der Konfessionen untereinander war ihm ebenso ein Anliegen wie die Friedensarbeit zwischen den Völkern. Er war der Ansicht, dass diese bereits in der Erziehung der Kinder veranlagt werden müsste. Natürlich war er auch ein glühender Patriot. Er wirkte als Förderer für die polnische Kultur und Sprache, bemüht bei den Flüchtlingen die Zugehörigkeit zur alten Heimat zu pflegen, zu erhalten und in ihre neu gegründeten Familien zu tragen. So kamen manche Kinder von ehemaligen Internierten in den Genuss von polnischem Sprachunterricht bei Herrn Adamowski.

1950 oder 1951 wurde Piotr Adamowskis Gesuch um Niederlassung in der Schweiz schliesslich stattgegeben. Er fand eine Stelle als Hilfsarbeiter bei der Maschinenfabrik Oerlikon MFO und arbeitet dort bis zur Pensionierung.

In seiner Freizeit widmete sich Piotr Adamowski unermüdlich der polnischen Diaspora in Zürich. Sein grosses Anliegen war es, den Heimatlosen eine neue Heimat schaffen. Die Gründung eines «Polenhauses» (Dom Polski) in Zürich schwebte ihm vor. Man traf sich monatlich in Zürich zu einer Messe in polnischer Sprache, und es wurden Mai- und Weihnachtsfeiern (Opłatek) veranstaltet.

Zusammen mit Freunden gründete er eine «Polnische Volkshochschule» (Polski Uniwersytet Ludowy PUL). Einerseits sollte diese im Sinne der Völkerverständigung wirken, anderseits hatte sie das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit der Schweizerischen Kultur und Literatur zum Ziel. Piotr Adamowski organisierte z.B. Leseabende zu Gotthelfs Büchern, da sie seiner Meinung nach die Lebensumstände der schweizerischen Bevölkerung besonders gut darstellten. Weiter lud er Persönlichkeiten aus Kultur und Politik für Vorträge ein. Seine Briefe an Alfred Huggenberger2 sowie ein Briefwechsel mit Carl Jacob Burckhardt3 sind in verschiedenen Schweizer Archiven erhalten.

In den frühen 1950er Jahren nahm Piotr Adamowski auch den Kontakt zu seinen Bekannten aus der Zeit der Arbeitseinsätze als Internierter wieder auf.

Meine Mutter erzählte, sie habe eines Tages von Herrn Adamowski eine Postkarte mit dem Vorschlag für einen Kaffee-Treff in Zürich erhalten. In der Anstalt Regensberg war sie ihm während der Kriegsjahre als junge Lehrerin begegnet. Unterdessen unterrichtete sie an der Unterstufe der Dorfschule in Esslingen ZH die 1.-3. Klasse.

Sie nahm die Einladung des ehemaligen Arbeitskollegen an, und dieser brachte seinen etwas jüngeren polnischen Freund mit. So lernten sich meine Eltern, Margrit Zurbuchen und Antoni Dobrowolski, kennen. 1954 heirateten sie und kauften bald darauf das alte Haus gegenüber dem Schulhaus in Esslingen. Piotr Adamowski hatte sozusagen die Ehe meiner Eltern gestiftet und den Grundstein zu unserer Familie gelegt. 1958 wurde ich als erstes Kind geboren, 1960 und 1962 folgten noch zwei Brüder. Piotr Adamowski wurde mein und auch meines älteren Bruders Taufpate. Nicht nur der «Götti» war ein häufiger Gast in unserem Hause. Da Piotr Adamowski in seiner winzigen Wohnung keine Gäste beherbergen konnte, wohnten verschiedene Besuche aus Polen oft über längere Zeit bei uns. So hatte sich sein Traum eines «Polenhauses» zumindest teilweise erfüllt.

Zahlreiche Besuche sind im Gästebuch meiner Eltern verzeichnet. Piotr Adamowskis letzter Eintrag lautet:

Piętnaście lat temu byłem drużbą i weselnym starostą a po tym „chrestnym“ i jeszcze póżniej … gościem przy pierwszej komunii św. Chciałbym jeszcze być na weselu Anusi, na promocji Michała i doczekać się dużej radości u Łukasza. Gott segne Euch; kochanym Dobrowolskim z Esslingen przed odjazdem dziękuję za wszystko! Piotr Adamowski 9. X. 1969

Übersetzung von Anna Stuetzle-Dobrowolska: Vor 15 Jahren war ich Trauzeuge und Hochzeitsmarschall. Dann wurde ich (2mal!) Götti und später Gast bei der Erstkommunion. Wie gerne möchte ich noch an Annas Hochzeit, an Michaels Studienabschluss dabei sein und würde grosse Freuden bei Lukas erwarten! … Ich danke der lieben Familie Dobrowolski in Esslingen vor meiner Abreise für alles …

Helena Getyńska, seine Jugendfreundin, fügte an: Sehnlichst wünsche ich, es möchte dieser Abschied nur ein „Auf Wiedersehen“ sein – „Auf Wiedersehen in Polen“ …!

Leider war uns dies jedoch nicht vergönnt, denn mein Vater reiste erst 1974 mit mir und dem älteren Bruder nach Polen …

Nach der Rückkehr nach Wrocław hatten Piotr Adamowski und Helena Getyńska 1970 geheiratet. Sie hatte ärztliche Betreuung und Kuraufenthalte für ihn organisiert, doch er erholte sich nie mehr richtig von seiner Krankheit. Er verstarb am 11. August 1972.

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1 Briefe an Paul Amacher (1915-1997) im Sozialarchiv Zürich

2 Alfred Huggenberger (1887-1960): Schweizer Schriftsteller und Landwirt, «Schweizer Bauerndichter»

3 Carl Jacob Burckhardt (1818-1974): Schweizer Historiker, Essayist und als Diplomat 1937 vom Völkerbund zum Hohen Kommissar für die Freie Stadt Danzig ernannt, sowie 19441948 Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK.

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Quellen:

  • ca. 50 Briefe an Paul Amacher im Sozialarchiv Zürich
1968 bei der Erstkommunion des Patenkindes Anna Dobrowolska (Autorin)
Das letzte bekannte Bild von Piotr Adamowski, ca. 1969
Todesanzeige:
Magister der Rechtswissenschaften, ehemaliger Gerichtspräsident in Chodorów, Soldat der II. Schützendivision im Zweiten Weltkrieg, Teilnehmer am Feldzug in Frankreich, Interniert in der Schweiz, Bildungsförderer in Polen und in der Schweiz, unermüdlicher Förderer des Polentums in Zürich, edler Mann, bester Pole, starb am 11. August 1972 in Breslau.
Mit Schmerzen verabschieden sich von ihm seine Freunde (übers. T. Wojnarski jun.)
 

Piotr Adamowski war auch Firmpate von Tadeusz Wojnarski jun.

Foto ca. 1964

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