TADEUSZ WOJNARSKI - ITALIEN. DIE ENTSCHEIDUNG, IM WESTEN ZU BLEIBEN

1946 - Studium in Rom

       Autor: Tadeusz Wojnarski jun.

Am dritten oder vierten Tag seines Aufenthalts in Rom traf er in einem Offiziers-Club bei einem Kaffee den Oberleutnant Karol Badura1. Es stellte sich heraus, dass dieser bereits längere Zeit an der Kunstakademie in Rom studierte. Mein Vater hatte zuvor von den Bemühungen des Kommandos des Zweiten Polnischen Korps gehört, Studien für diejenigen Soldaten zu organisieren, die sie einmal begonnen hatten, aber dass sie jemand bereits beginnen konnte, war für ihn eine Überraschung:

„Und Sie studieren dort so ganz regulär…», fragte ich überrascht. – «Ja, ganz regulär und offiziell» – bekam ich zur Antwort. – «Könnte ich dort auch studieren?» – ich kam unverzüglich auf den Punkt, denn wenn etwas erledigt werden könnte, dann nur während des aktuellen Urlaubs. «Ich denke schon. Ich kann sogar versuchen, dem Kollegen zu helfen.» – Es war wie auf einer Rutsche voller unvorhergesehener Ereignisse, umso mehr meine Chance im Zusammenhang mit der Absicht des Zweiten Polnischen Korps, Soldaten Studien zu ermöglichen, Gestalt annehmen könnte. Nur, dass es bei diesem Angebot diejenigen betraf, die bereits ein Studium begonnen hatten. Das bedeutet, dass meine Chancen intakt sein könnten, wenn ich ins zweite Studienjahr zugelassen würde… Diesen Gedanken sprach ich laut aus und wartete, was mein neuer Kollege aus Rom dazu sagen wird: «Diese Angelegenheit duldet keine Verzögerung. Darum schlage ich vor, morgen früh zur Akademie zu gehen und die Sache an die Hand zu nehmen. Die Italiener sind uns gegenüber bestens gesinnt und ich hoffe, dass alles erfolgreich erledigt werden kann» – antwortete Oberleutnant Badura.2

Schon am nächsten Morgen meldeten sie sich in der Direktion der Akademie der bildenden Künste. Der Direktor war abwesend, aber die Sache war dringend, denn mein Vater musste am nächsten Tag zurück beim Regiment sein. Karol Badura – der inzwischen die Institution kannte – verlor nicht die Hoffnung und sie gingen zu Signore Pomponi, dem Haupt-Hausmeister und ersten Person nach dem Direktor. Eine bescheidene Summe stellte ihn offensichtlich zufrieden und er lud ihn für den nächsten Morgen zu einer Prüfung ein. Der Eintrittstest bestand darin, ein weibliches Modell mit Bleistift zu zeichnen. Der ersehnte Beweis belegte, dass Vater irgendwo und irgendwann ein Studium auf dem Gebiet der Schönen Künste begonnen hatte. Und so wurde er Student des zweiten Jahres an der Accademia Reggia delle Belle Arti in Rom. Mit diesem Dokument in der Hand meldete er sich beim Regimentskommandanten:

Kurz und dienstlich bat ich ihn, mir einen unbefristeten Urlaub zum Studium in Rom zu gewähren. «Herr Leutenant, gehen Sie nur. Ich werde Sie nicht daran hindern und wünsche Ihnen viel Erfolg beim Studium». – Oberst Link war kurz und prägnant. Für seine Gunst und persönliche Freundlichkeit mir gegenüber danke ich ihm, wie versprochen, herzlich.3

Anfang 1946 verabschiedete er sich von seiner Batterie und begann das Studium an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Rom. Am Anfang war er der einzige Pole, aber rasch kamen viele weitere. Es entstanden polnische Verbände In den verschiedenensten wissenschaftlichen Bereichen, darunter der Verband der Künstler und Musiker. Die Gruppe der «Künstler» wählte Wojnarski zum Präsidenten. Das waren Vaters erste Erfahrungen in organisatorischen und sozialen Aktivitäten.

Die Künstler-Studenten wurden im Haus der Oblatenbrüder an der Via Vittorino da Feltre untergebracht. Es gab mehr als ein Dutzend Maler und etwa zehn Musiker. Im gleichen Gebäude befanden sich die Büros der Kulturinstitution des Zweiten Polnischen Korps, unter anderem die Redaktion der Zeitschrift „Orzeł Biały” (Weisser Adler) und die Tageszeitung „Dziennik Zołnierza” (Soldatennachrichten).

Vater kam in die Klasse des herausragenden Professors Amerigo Bartoli4. In seinen Erinnerungen schrieb er mit grossem Respekt über ihn – hier eine liebenswürdige Anekdote:

Das Wichtigste für mich persönlich war, was ich bei Prof. Bartoli lernte. Irgendwo im Krieg „erwarb“ ich mir eine Holzkassette mit Ölfarben. Vielleicht war es nicht sehr lauter, denn tatsächlich fand ich diese Kassette auf dem Dachboden eines verlassenen Hauses, und weil das Objekt mir so attraktiv erschien, nahm ich es einfach mit, wofür ich mich eher schäme, aber es wurde sehr nützlich, um damit an der Kunstakademie zu malen. Also drückte ich auf die Palette, welche ebenfalls zu dieser Ausrüstung gehörte, eine ganze Reihe wunderbarer Farben aus und versuchte, das vom Professor positionierte Thema zu malen: einen sitzenden Frauenakt. […] Professor Bartoli, ein Mensch von niedriger Gestalt, dafür von recht üppiger Breite, blickte eine Zeit lang mal auf das aufgestellte Modell, mal auf meine malerischen Kunststücke, mal auf die mich mit Stolz erfüllende Palette in meiner Hand […]: «Nun ja, es ist verständlich, dass Ihre Malerei so herauskommt. Ich möchte Ihnen einen Rat geben. Von den Farben, die Sie auf Ihrer Palette haben, würde ich nur folgende belassen: …» – Nun folgte eine niederschmetternde Belehrung: Die Farben, die mein Professor als würdig bezeichnete, waren sogenannte „Erden», d.h. Naturfarben: Ugier, natürliche und verbrannte Siena, Umbra, Pozzuoli-Rot, Smaragdgrün, Grüne Erde, Ultramarinblau, Weiss… «Und vielleicht noch diese…» – Er zeigte auf Schwarz. – «Den Rest würde ich Ihnen raten, von der Palette zu kratzen und nicht mehr zu verwenden.»5

Neben diesen Lektionen nahm Vater nachmittags mit anderen polnischen Studenten an Zeichenkursen teil (insbesonders Aktzeichnen), die von der italienischen Vereinigung „Circolo Internazionale degli Artisti“ an der Via Margutta durchgeführt wurden. Viele Aktbilder sind in der Familiensammlung erhalten geblieben (Abb. 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 119, 120, 123, 124).

Regelmässiger Dozent an diesen Nachmittagskursen war Prof. Marian Bohusz-Szyszko6 – ein herausragender Maler und Pädagoge. Nachdem er 1945 von den Alliierten Truppen aus deutscher Kriegsgefangenschaft befreit wurde, trat er in den Zweiten Polnischen Korps ein. General Władysław Anders ernannte ihn persönlich zum Verantwortlichen der polnischen Soldatenkünstler in Rom. Unter anderem hielt er Vorlesungen über Kunstgeschichte und organisierte wissenschaftliche Museumsbesuche sowie Studienreisen durch Italien.7 Als «Chef» der Künstlergruppe hatte mein Vater regelmässigen Kontakt mit ihm. Die folgende Anekdote zeugt von seinen grossen didaktischen Fähigkeiten:

Prof. Bohusz-Szyszko vermittelte uns viele interessante und praktische Grundsätze zur Kunst. Er betonte den Wert der Subjektivität als grundlegenden Faktor des künstlerischen Schaffens. […] Bei einem Besuch der Galleria Borghese, vor dem Gemälde der Fornarina8 von Raffael, stellte uns plötzlich Prof. Bohusz-Szyszko die Frage: «Wessen Porträt ist das?» – Die Frage schien sehr naiv zu sein, denn man wusste, wessen Porträt es war, zudem verriet es das Metallschildchen deutlich. Da wagte jemand, etwas schüchtern, zu sagen: «Fornarina …» Darauf hatte der Professor nur gewartet, denn seine Frage war nichts weiter als eine Provokation, um zu versuchen, sich eingehend mit diesem Thema zu befassen. «Nein», protestierte er, «das ist kein Porträt von Fornarina, sondern von Raffael». Auf diese Weise erkannte ich eine andere, wichtige Wahrheit über ein künstlerisches Bild […], jedes Bild eines richtigen Künstlers ist ein Porträt seiner selbst. Ich weiss jetzt auch, dass jedes Bild von mir nicht so sehr mein Bild ist als vielmehr ein Bild von mir selbst ist. Mein Selbstporträt. Es ist wie ein Teil von mir. Und nur wer ein Kunstwerk auf diese Weise liest, ist auf dem richtigen Weg, es korrekt zu beurteilen. Die Tiefe eines Kunstwerks ist ein Bild der Tiefe der Seele seines Schöpfers.9

Einen sehr wichtigen Einfluss auf die Malerei meines Vaters hatte Aleksander Werner10, mit dem er das Zimmer teilte.

Gerne trafen wir uns mit unseren polnischen Kollegen und besprachen unsere „Werke“. Diese Treffen fanden meistens in einem Raum statt, in dem alle drei Maler wohnten. […] In dieser Zeit hatte Alek einen besonderen Einfluss auf mich. Er hatte einen eigenen, sehr originellen Stil beim Skizzieren von Häusern, Strassen und Gassen, und der sich sehr gut auf jedes andere Thema anwenden liess. Er machte seine Zeichnungen mit Tusch und Feder, aber sie waren so einfach und ausdrucksvoll, dass ich dem Zauber dieser Technik erlag. Ich bat ihn, mir zu erklären, wie er das macht, er antwortete: «Ganz einfach…» – … das es ganz einfach war, hatte ich gesehen, aber ich möchte, dass er mir noch etwas mehr von seinem Geheimnis preisgeben würde, dann erklärte er: «Ich wähle mir ein Thema und beginne es von links oben nach rechts unten zu zeichnen…» – «Ich muss es ausprobieren!» antwortete ich, weil er mir bei dieser absoluten Einfachheit nicht einmal mehr erklären konnte.

So kaufte sich Vater Tusch, eine feine Feder und einen speziellen Federhalter. Er ging in die Stadt hinaus – in Rom brauchte man nicht nach Themen zu suchen – alles konnte nach jedem Schritt gezeichnet werden. Mit grosser Begeisterung nahm er die Arbeit auf.

Aber mit diesem „einfach“ links zu beginnen und rechts zu enden war irgendwie nicht so einfach. Bevor ich die rechten Seite des Blattes erreichte, gelang es mir, meine Spezialfeder zu zerbrechen. Nach einem zweiten, ebenfalls erfolglosen, Versuch beschloss ich, die „Einfach-Methode” von Alek aufzugeben.11

Er traute sich nicht, es Alek zu erzählen, aber er wollte wissen, wie seine Methode funktionierte, also musste er sein Scheitern zugeben. Alek lachte dazu:

«Und wer hat dir gesagt, dass du mit so einer besonderen, zarten Feder zeichnen sollst? Zu einer so einfachen Technik gehört eine ganz einfache Feder. So eine, wie sie Schülerinnen und Schüler in der Schule verwenden!».12

Also kaufte er sich einige gewöhnliche Federn und versuchte erneut sein Glück:

Und es stellte sich heraus, dass Alek Recht hatte. Seitdem ist seine Technik zu meiner Lieblingstechnik geworden. Ausser dass ich schnell aufgab, links anzufangen und rechts aufzuhören. Dafür setzte ich meinen Finger als zusätzliches Werkzeug und meinen eigenen Speichel als einfachsten Tuschverdünner ein, weil mich die Nuancen von Schwarz und Grau irgendwie interessierten. 13

In Italien zeichnete Vater fortan mit Feder und Tusch wie von Sinnen (Abb. 130, 135, 116, 117, 118, 125, 140, 142  und viele mehr). 1949 erweiterte er seine Technik und aquarellierte teilweise die Zeichnungen. Diese Technik wandte er bis in die siebyiger Jahre an.

 


 

Fussnoten

1 Karol Badura, heute bekannter Artysta Andersa(«Ander’s-Künstler»)

2 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

3  ebenda

5 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

7 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

9 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

11  J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

12  ebenda

13  ebenda

Karol Badura (1907 – 1983)

Karol Badura. Monte Cassino. Kurz nach der Schlacht gemacht.
Mischtechnik, 1944
(Fot. Prof. Jan W. Sienkiewicz)

Tadeusz Wojnarski
1946 während dem Studium in Rom
(Fot.. Familienarchiv Wojnarski)

Prof. Amerigo Bartoli Natinguerra (1890 – 1971)
(Fot it.wikipedia)

Prof. Mario Rivosecchi (von ihm schrieb Wojnarski nichts, er ist jedoch auf zwei Gruppenbildern mit Studenten)
(Fot.. Familienarchiv Wojnarski)

Prof. Marian Bohusz-Szyszko
Rom 1945

Prof. Marian Bohusz-Szyszko
(1901 – 1995)
Selbstportrait 1945
(Fot. prof. Jan W. Sienkiewicz)

Raffael, La Fornarina, 1518/19, Galleria Borghese, Roma

Aleksander „Alek” Werner
1946 während dem Studium in Rom.
(Fot.. Familienarchiv Wojnarski)

Polnische Kunststudenten in Rom 1945
Auf der Aufnahme: Prof. M. Rivosecchi (oben, 6. von links). T. Wojnarski (oben, 2. von rechts), A. Werner (unten, 1. von links)
(Fot.. Familienarchiv Wojnarski)

Klasse von Professor Mario Rivosecchi, Rom1945
(Fot.. Familienarchiv Wojnarski)

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