TADEUSZ WOJNARSKI - ITALIEN. DIE ENTSCHEIDUNG, IM WESTEN ZU BLEIBEN

Der Krieg ist zu Ende. Wie weiter?

       Autor: Tadeusz Wojnarski jun.

Der Krieg war zu Ende: Sieg für die einen,
tragische Niederlage für andere.
Für uns dauerte der Krieg noch weitere 45 Jahre.
Wer sich der Niederlage bewusst war,
kehrte nicht nach Polen zurück.
Er kämpfte weiter, mit anderen Waffen.

Jan Pył / Tadeusz Wojnarski 1

In Europa endete der 2. Weltkrieg am 8. Mai. Es war historisch ein grosser Tag und eine grosse Freude für Millionen von Menschen. Der Sieg, zu dem die Polen im Exil und im Land selber mit vielen Kämpfen und Verlusten beigetragen hatten, hatte einen extrem bitteren Nebengeschmack. Obwohl Polen zur Gruppe der siegreichen Anti-Hitler-Koalition gehörte, ging es aus dem 2. Weltkrieg als abgängiges und territorial zerschnittenes Land hervor. Für viele Jahrzehnte blieb es von der Sowjetunion kontrolliert.

„Soldatenkomödie” (Żołnierska komedia)

Noch vor Ende des Krieges begann mein Vater diese tragische Realität in seinem Drama „Soldatenkomödie” (Żołnierska komedia) zu verarbeiten. Dazu schrieb er im Vorwort 2:

Das Stück weist autobiografische Züge auf, verteilt auf zwei Hauptfiguren mit unterschiedlichen Charakteren, den Korporal Jerzy und seinen Freund, Oberleutnant Stefan. Im ersten Akt absolvieren beide die Maturitätsschule in Barbara. Jerzy plagen Visionen, pessimistische Vorahnungen, Stefan versucht ihm diese zu zerstreuen. Als Jerzy Ende des zweiten Aktes im Kampf stirbt und im dritten Akt der Krieg zu Ungunsten Polens ausgeht, fällt Stefan ebenfalls in eine traumatische Depression.

Das Kriegsdrama wurde in seiner vollen Länge nie aufgeführt. Am 28. September 1974 brachte mein Vater immerhin das Fragment mit dem Warschauer Aufstand aus dem 2. Akt auf die Bühne.3 Anlass war eine Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag des Warschauer Aufstandes von 19444. Mein Vater führte Regie, erstellte das Bühnenbild und spielte mit, meine Schwester Theres und ich wurden mit weiteren Rollen betraut.

Das vollständige Drama wurde in einem kleinen Büchlein auf einfache Art gedruckt und in kleiner Auflage veröffentlicht. Im Familienarchiv sind eine kleine Anzahl von Originalexemplarenerhalten geblieben.

Traumaverarbeitung

Aus dem Krieg blieben Vater schreckliche Erinnerungen, Traumata, das Gefühl der Niederlage und viele Zweifel zurück. Seine Reflexionen und quälenden Gedanken führten ihn dazu, kleine Bildchen mit symbolischem Inhalt zu malen. Neben den ersten Fragmenten zur „Soldatenkomödie“ und vier kleinen Gouachen (Abb. 50, 51, 52, 53) entstanden zwei weitere Bildchen, Technik und Grösse sind identisch. Auch in ihnen reflektierte er mit tiefer Symbolik seine quälenden Gedanken. In „Meiner Mutter…“ (Abb. 54) stellt er einen in Gedanken versunken Soldaten vor einem nächtlichen Sternenhimmel dar – vermutlich mein Vater über das Schicksal seiner Mutter und seines Bruders nachdenkend, die in der Heimat zurückgeblieben sind. Das „Verlorene Spiel…“ (Abb. 55) drückt offenbar die Trauer eines Soldaten um die vergeudete Anstrengung aus. Ähnlich die Karikatur des gierigen Stalin mit teuflischem Lachen, die er in Tuschtechnik schuf (Abb. 56). Einen anderen Aspekt zeigen die zwei Kinderportraits, auf ihren Gesichtern sind die Spuren des Krieges erkennbar. Das eine zeichnete er mit Bleistift (Abb. 57), das andere mit Rötelstift (Abb. 58). Zu den interessantesten Arbeiten gehört sein Selbstporträt, welches seinen damaligen Seelenzustand perfekt wiedergibt, einschliesslich des Gefühls der Unsicherheit über seine Zukunft und seine Ablehnung der ihn umgebenden Realität (Abb. 59).

KINO 71

Der 2. Polnische Korp blieb einstweilen als militäriche Einheit ohne Heimat bestehen. Es war sehr unklar, was mit den über 100’000 uniformierten Personen geschehen soll. Vorläufig wurden militärische Übungen fortgesetzt, sie dienten hauptsächlich der Konservierung der Ausrüstung. Aber die Soldaten organisierten sich auch Freizeitaktivitäten.

Vater’s Regiment wurde in der Nähe des adriatischen Städtchens Pedaso stationiert, 70 km südlich von Ancona. Jemand hatte die Idee eines Regimentskinos. Zuerst musste die Zustimmung des Regimentskommandanten Oberst Tadeusz Link eingeholt werden. Er war einverstanden, und hatte schon einen Plan im Kopf, wofür die Einnahmen verwendet werden könnten – doch davon später. Die Reparaturabteilung suchte auf den umliegenden Schrottplätzen nach einem geeigneten Fahrzeug. Es musste ein Kino auf Rädern sein, denn bei einem Standortwechsel des Regimentes musste das Kino mitreisen. Die Mechaniker wurden fündig und erwarben für wenig Geld einen grossen ausrangierten Bus. Irgendwo fanden sie noch einen gebrauchten Projektor. Schliesslich brachten sie das Wunder fertig, aus dem Schrotthaufen ein fahrbares Kino zu bauen. Es erhielt den Namen KINO 71. Denn innerhalb der Division hatte das 2. Artillerieregiment die Nummer 71.

Mein Vater erhielt den Auftrag, den grauen Bus zu verschönern.

Also malte ich auf der Rückseite einen riesigen Mickey Maus und an den Seiten das Schneewittchen mit den sieben Zwergen. Unser KINO 71 sah beeindruckend aus!5

Der Kinobetrieb lief erfolgreich an. Unternehmerisch Geschickten aus dem Regiment gelang es, von italienischen Filmverleihern täglich einen anderen Film zu erhalten. Auch die italienischen Zivilisten durften an den Spektakeln teilnehmen, mussten jedoch, wie auch die Soldaten, für den Eintritt bezahlen. Und hier die Idee des Obersten. Dazu schrieb mein Vater:

Das Geld war bestimmt nicht der Hauptzweck dieser Institution, aber es war auch nicht unwichtig. Die erste Investition aus diesem Kino waren Ferkel, zwei für jede Batterie. Den Batterieköchen wurde die Aufgabe übertragen, sich um die Ferkel zu kümmern, was für viele landwirtschaftlich positiv eingestellten Polen weder fremd noch unangenehm war. Zudem waren sie für die gesamte Soldatengemeinschaft eine willkommene Attraktion in diesen «trostlosen Zeiten» sowie eine gute festliche Zugabe zum normalen Menü.

Bisher ist es mir nicht gelungen, in Archiven eine Fotographie des angemalten Kinobusses zu finden. Aber in Vater’s Nachlass fand ich Farbskizzen vom Schneewittchen, fünf der sieben Zwerge und Mickey Maus. Deutlich inspiriert von Walt Disney. (Abb. 60-65, 66)

Das Verlangen auf Reisen

Es gibt nicht viele Bilder aus dieser Zeit. Eines von ihnen zeigt ein Wäldchen, wahrscheinlich in der Nähe des Städtchns Pedaso (Abb. 67 – 16.7.1945).

Doch der zukünftige Kunstmaler sehnte sich danach, die in Italien verbrachte Zeit für längere Reisen nutzen, um möglichst viel vom kulturellen und künstlerischen Erbe Italiens zu sehen und zu erleben. Nach Kriegsende boten die Eisenbahnen und andere öffentliche Verkehrsmittel kostenlose Fahrten für alle alliierte Soldaten an, natürlich mit entsprechenden Passierscheinen ihrer Heimattruppen. Mein Vater nutzte bald ausgiebig diese aussergewöhnlichen Privilegien. In seinen Erzählungen berschrieb er die erste Reise im August 1945 wie folgt:

Zum ersten Mal konnte ich sie [die Privilegien] anlässlich meines Sommerurlaubs in Venedig ausprobieren, wir fuhren dorthin in einer Gruppe. Als Offiziere der alliierten Truppen erhielten wir ein Zimmer im Lido im Hotel «Palazzo al mare». […] Der Ausflug nach Venedig war für mich ein Vorgeschmack auf das, was nach dem “Abkommandieren“ zum Studium andere Dimensionen annahm. Aber dazu etwas später mehr.

Ein Blick auf das Plakat des Hotels «Palazzo al mare» – direkt am Strand des venezianischen Lido – bestätigt: es war tatsächlich von hoher Klasse.

Von dieser Reise nach Venedig sind zwei wunderschöne Aquarelle erhalten geblieben (Abb. 68, 69 – 14.+18.8.1945).

Das 2. Leichte Artillerie-Regiment wurde für den Herbst und Winter 60 km tief ins Landesinnere verlegt, in die Nähe des Städtchens Ascoli Piceno. Von diesem Aufenthalt gibt es im Nachlass keine Bilder, aber 1946 besuchte Vater das Städtchen ein zweites Mal und fertigte hier einige Zeichnungen an.

Nach Rom!

Irgendwann Ende 1945 erhielt mein Vater einen weiteren Urlaub. Es zog ihn sehr in die „Ewige Stadt” Rom.

Mit groser Freude fuhr ich hin. Einerseits, um die dortigen Sehenswürdigkeiten zu besuchen, aber auch um das traurige „Programm“, die Löcher des verlorenen Krieges zu stopfen, zu unterbrechen.

Hier entstand das Porträtfoto von Tadeusz Wojnarski in Leutnantsuniform und möglicherweise das Selbstporträt vom 15.12.1945. Was aber Vater nach dem Krieg wahrscheinlich am meisten beschäftigte, war der Wunsch, ein neues Leben zu beginnen. Und es war diese Reise, die bedeutende Konsequenzen hatte – der Beginn eines neuen Lebensabschnittes …

 


 

Fussnoten

1 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

2   ebenda

3   Im Kirchgemeindehaus St. Jakob am Stauffacher in Zürich

4   Nasza Gazetka Nr. 6, Oktober 1974, S. 1 und Nr. 7, November 1074, S. 2

5 J. Pył (T. Wojnarski), Erzählungen aus der späteren Jugend (Opowiadania z późniejszejmłodości), unpublizierter Maschinenscript, 1998

Abb. 55 Verlorenes Spiel…,
ca. 1945
Gouache, Papier
22 x 15 cm

Abb. 56 Gieriger Stalin
ca. 1945
Tusch, Papier
26,2 x 18 cm

Abb. 57 Kinderportrait
5.7.1945
Bleistift, Papier
26 x 19,8 cm

Abb. 58 Mädchenportrait
27.8.1945
Rötelstift, Papier
26 x 19,8 cm

Abb.59 Selbstportrait
15.12.1945
Bleistift, Papier
31,7 x 21,2 cm

Abb. 60-65. Schneewittchen und Zwerge
(Projekt zum Kino 71)
1945 – Gouache, Papier – 15 x 53 cm

Umschlag „Soldatenkomödie»

Inszenierung der „Soldatenkomödie“ in Zürich. Die einzige sehr schlechte erhaltene Fotografie.
Quelle: Nasza Gazetka
Nr. 7 / 11.1974

Abb. 50 Im Treff
ca. 1945
Gouache, Papier
22 x 15 cm

Abb. 51 Vision 1
ca. 1945
Gouache, Papier
22 x 14.8 cm

Abb. 52 Vision 3
ca. 1945
Gouache, Papier
22 x 15 cm

Abb. 53 Vision 3
ca. 1945
Gouache, Papier
15.5 x22 cm

Abb. 54 Meiner Mutter…
ca. 1945
Gouache, Papier
22 x 15 cm

Abb. 66 Mickey Mouse
(Projekt zum Kino 71)
1945
Gouache, Papier
19.2 x 12.7 cm

Abb. 67 Wäldchen, Gegend von Pedaso
16.7.1945
Aquarell, Papier
30 x 22 cm

Plakat des Hotels„Palazzo di Mare» auf dem Lido vor Venedig.
Hier drehte Lucchino Visconti seinen berühmten Film „Tod in Venedig” (1971)

Abb. 68 Venezia,
Piazza San Marco
 14.8.1945
Aquarell, Papier
30 x 22 cm

Abb. 69 Venezia. Gondoliere
18.8.1945
Aquarell, Papier
30 x 22 cm

Tadeusz Wojnarski in Offiziersuniform, Rom 1945

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