TADEUSZ WOJNARSKI - BIOGRAPHIE

Aufzeichnungen des Terrors

Autor: Tadeusz Wojnarski jun., unten der Originaltext von Tadeusz Wojnarski sen.

Diesen Zeugenbericht schrieb Tadeusz Wojnarski sen. in der Zeit seiner Militärausbildung im Nahen Osten 1943. Mit sehr vielen anderen sind diese Aufzeichnungen auf der Webseite www.zapisyterroru.pl  zu zu finden.

Ich wurde in Przemyśl verhaftet, als ich versuchte, die Demarkationslinie auf die Seite der deutschen Besatzung zu überschreiten. Ich muss anmerken, dass ich aus Warschau stamme und – als Pole ohne die Möglichkeit eines legalen Grenzübertritts (Personen, die sich als deutscher Herkunft auswiesen, hatten die Möglichkeit, mit Sonderzügen in ihre Heimatstädte zurückzukehren) – musste ich den illegalen Weg wählen. Die Verhaftung erfolgte am 9. Februar 1940.

Ich verbrachte anderthalb Monate im Gefängnis in Przemyśl. Die Bedingungen in diesem Gefängnis: recht grosse Zellen, zunächst 20 bis 30, dann bis zu hundert Menschen in einer Zelle. Fenster ohne Glas, ungeheizte Öfen, Erledigung persönlicher Bedürfnisse in einen Eimer (Parascha) in der Zelle, kein Hinausführen der Gefangenen an die frische Luft, Mangel an Trinkwasser (Waschen kam nicht in Frage), Läuse, die sich in erschreckendem Tempo vermehrten – all das führte dazu, dass jeder nach anderthalb Monaten sich an den Wänden entlang haltend bewegte – die tägliche Portion Brot betrug etwa 350 g, einmal Tee und einmal einen halben Liter Suppe (?). Kurz vor Ostern wurden wir in geschlossenen Güterwaggons (in jedem Waggon zwei Wärter) in ein Gefängnis in Odessa gebracht. Dort verbesserten sich etwas die Bedingungen. Essen gab es etwa doppelt so viel. In den zwei mal dreieinhalb Meter kleinen Zellen befanden sich durchschnittlich zehn Personen (Polen und Flüchtlinge aus Transkarpatien). Meine Verhöre waren harmlos; andere wurden Nacht für Nacht zum NKWD [Geheimdienst] geschleppt (wobei sie tagsüber nicht schlafen durften). Ich weiss nicht, wie die Verhörmethoden aussahen. Sie mussten wirksam gewesen sein, weil sich oft unschuldige Menschen schuldig bekannten. Nach etwa zehn Monaten erhielt ich ein Urteil (fünf Jahre ITŁ – isprawitielnogo trudowogo gulag, was – wie sich später herausstellte – schlimmer war als das schlimmste Gefängnis). Vor der Abreise aus Odessa befanden sich durchschnittlich 15 Personen in den Zellen. Am 6. Februar 1941 verliess ich die Gefängnismauern von Odessa.

Etappen der Reise: Charkiw, Pensa, Sisran, Tscheljabinsk, Swerdlowsk. In jeder dieser Städte sass ich mehrere Tage in sogenannten pieresylnych tiurmach (Versandgefängnisse) in Erwartung der nächsten Etappe mit dem Gefängniszug. Die Haftbedingungen in Charkiw waren ähnlich wie in Odessa (in einer zwei mal fünf Meter grossen Zelle sassen durchschnittlich 20 Personen). Im Gefängnis in Pensa traf ich zum ersten Mal auf kriminelle Elemente Sowjetrusslands. Es ist schwer zu beschreiben, was die Polen moralisch durch sie erlitten hatten. Die Bestialität von Banditen und Dieben ist für einen normalen Europäer einfach kaum zu fassen. Der sowjetische Verbrecher ist Herr in der Gefängniszelle und alles muss so laufen, wie er es will. In etwa acht mal zehn Meter grossen Zellen befanden sich etwa 150 Menschen, doch die kriminelle „Aristokratie“ schlief auf Pritschen, die „unteren Schichten“ auf dem Steinboden und die Polen hatten überhaupt keinen Platz. Sie wurden mehrere Tage lang herumgeschubst und mit den schrecklichsten Flüchen beschimpft, konnten oft tagelang nicht schlafen, bis sie aus der verfluchten Zelle zur nächsten Reiseetappe in den Gulag herauskamen. Ähnliche Bedingungen herrschten in den Gefängnissen von Sysran, Tscheljabinsk und Swerdlowsk. Dabei war es nicht sehr verwunderlich, dass es während der Reise den ganzen Tag, manchmal auch zwei Tage, nichts zu essen gab. Es sollte hinzugefügt werden, dass Frauen unter keinen besseren Bedingungen inhaftiert waren.

In Lagern, die schlimmer waren als Gefängnisse, musste hart gearbeitet werden. Die Arbeitsnormen waren so hoch, dass sie für durch die Haft geschwächt Menschen unmöglich zu erfüllen waren. Ein durchschnittlicher Tag im Lager: Aufstehen um 4.00 Uhr. Für die Suppe musste man etwa eine Stunde Schlange stehen. Ebenso etwa eine Stunde dauerte es, die Brigaden zur Arbeit hinauszuführen. Die Arbeiten waren vielfältig, hauptsächlich Waldarbeiten (das Lager befand sich in der Taiga, fast 700 km nördlich von Swerdlowsk im nördlichen Ural: Swierdlowskaja Oblast, iwdielskij rajon [Gebiet Swerdlowsk, Bezirk Iwdiel]). Die Arbeit dauerte 13 bis 14 Stunden. Rückkehr ins Lager um 20.00 oder 21.00 Uhr. Wieder eine Stunde Warten auf die Suppe und 300 bis 900 Gramm Brot, je nach erarbeiteter Norm.

Wir lebten in Baracken, auf nackten Pritschen. Manchmal, wenn es ein regnerischer Tag war (80 % der Tage im Mai und Juni sind nass), mussten wir in durchnässten Kleidern schlafen – aber, zufrieden sich ausruhen zu können achtete niemand darauf. Kleidung zu bekommen war sehr schwierig. Als sie sie schliesslich abgaben, war sie so beschädigt, dass man nicht lange damit laufen konnte. Überdies waren fast alle so zerlumpt, dass niemand auf sein Aussehen achtete. Es plagten hauptsächlich Kälte und riesige Mückenschwärme, die Gesicht und Hände bestachen und durch kleinste Löcher in der Hose oder im Hemd drangen.

Krankheiten und Tod vernichteten die Polen. An die Namen der Toten kann ich mich leider nicht mehr erinnern.

Von Apathie überwältigt gingen wir fünf bis neun Kilometer zur Arbeit und warteten auf Erlösung. Als endlich die Amnestie kam, an die zunächst niemand glauben wollte, wurden wir umso mehr aufgefordert, noch härter zu arbeiten. Wenige Tage vor unserer Entlassung versammelte uns ein leitender Aufseher und sagte etwa so: „Ihr werdet bald entlassen. Ihr solltet euch mehr einsetzen. Zwei Jahre lang haben wir euch in den Lagern (?) vor der Unterdrückung durch die Deutschen geschützt, und jetzt, da unsere Staaten gemeinsam kämpfen, solltet ihr für die sowjetische (?) und polnische Heimat arbeiten.“

Als ich entlassen wurde, lebte ich in Usbekistan, wo ich interessante Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Versuch hatte, mich zur Bespitzelung von Polen gewinnen zu lassen und dem NKWD zu denunzieren. Diese Angelegenheit habe ich bereits den zuständigen Stellen gemeldet.

Kanonier Tadeusz Wojnarski

Hier finden Sie den Text «Aufzeichnungen des Terrors» als PDF in polnischer Sprache und deutscher Übersetzung

www.zapisyterroru.pl und direkt zur Seite von Tadeusz Wojnarski

Diese handschriftlichen Aufzeichnungen befinden sich in einem polnischen Archiv und sind auf zapisyterroru.pl zugänglich

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