Tadeusz Wojnarski jun.
Anfang 2018 begann ich mit Archivierungsarbeiten am künstlerischen Nachlass meines Vaters. Nach einer ersten Durchsicht wurde ich mir bewusst, dass die während des Krieges entstandenen Werke in Polen ein Potential haben dürften. Mein Vater erlitt das gleiche Schicksal wie über 100’000 Polen. Zuerst Gefangener in einem sowjetischen Arbeitslager in Sibirien, dann Anfang 1942 vom polnischen General Anders aus der UdSSR herausgeführt. In den Zweiten Polnischen Korps aufgenommen, erhielt er im Nahen Osten eine militärische Ausbildung. Schliesslich Fronteinsatz in Italien gegen die deutsche Wehrmacht, um für die Freiheit seiner Heimat zu kämpfen. Aussergewöhnlich war, dass er – in dieser Zeit noch Amateurmaler – viele künstlerische Werke schuf. Darum konzentrierte ich meine Arbeit zuerst auf dieses Thema und erstellte eine erste provisorische Dokumentation, die ich Ende 2018 an einige Museen und historische Institutionen verschickte. Die Reaktionen der Experten übertrafen meine Erwartungen. Nicht nur diese waren interessiert. Ich lernte Prof. Dr. Jan Wiktor Sienkiewicz kennen, den bedeutendsten Experten der „Anders-Künstler» (er führte dieses Thema in die polnische Kunstgeschichte ein). Sofort interessierte er sich für das künstlerische Schaffen meines Vaters, schrieb einen wissenschaftlichen Einführungsartikel zum Ausstellungskatalog und kam zur Eröffnung der ersten Ausstellung, die im Polnischen Museum in Rapperswil stattfand. Das war Ende März 2019. Auf Einladung der polnischen Botschaft in Italien wurden darauf ein Teil der Bilder im Rahmen der Gedenkfeiern zum 75. Jahrestages der Schlacht von Monte Cassino gezeigt. Diese unglaubliche Ehre war meinem Vater während seinem Leben nicht gegönnt. Seit August 2019 sind die Bilder auf Ausstellungstour in Polen.
Im Zentrum der ersten Ausstellung nach dem Tod des Künstlers stehen zahlreiche Soldatenporträts, alles Kampfkollegen des Künstlers. Jeder von ihnen während des Italienfeldzuges auf ganz persönliche, ausdrucksstarke und subtile Weise und in seiner ganzen Tragik auf Papier gebracht: Freigelassen aus sibirischer Gefangenschaft – in Italien für ein freies Polens kämpfend – bereit sein Leben zu opfern – und schliesslich seine Hoffnung auf eine Rückkehr in eine freie Heimat verlierend. Jeder von ihnen war nicht nur ein „Held» des gewonnenen Krieges. Er war auch Opfer eines verlorenen Krieges für Polen. Ich weiss, dass mein Vater dies sehr tief erlebt hatte, er schrieb über diese Gefühle sehr viel in seinen Erzählungen. Prof. Dr. Sienkiewicz bestätigte mir, dass es keinen Künstler unter General Anders gab, der Soldaten während der Kämpfe porträtiert hatte – und das noch auf so ausdrucksstarke und emotionale Art und Weise. Die Porträts würden die „grösste Kraft und Wahrheit» atmen. Er schreibt weiter: „Das Bedürfnis, seine Kollegen zu porträtieren, wurde zu einer Art Mission und einer Registrierung ihrer Persönlichkeiten, vor allem während den schwierigen Operationen der Überwindung der Gotenlinie im August 1944 durch die Soldaten des Zweiten Polnischen Korps, die notabene zur gleichen Zeit durchgeführt wurden, als an der Weichsel der Warschauer Aufstand begann und bei dem die Kollegen des Künstlers aus der Schulzeit in Warschau bald eine blutige Niederlage erlitten.“ Zudem stand zur gleichen Zeit die Rote Armee auf der anderen Seite der Weichsel. Jeder der Porträtierten wusste nach seiner persönlicher Erfahrung in sowjetischer Gefangenschaft, dass diese „Befreiung» für Polen nichts Gutes bedeutete. Jeder von ihnen durchlebte dieses Trauma von Sieg und Niederlage zugleich auf seine sehr persönliche Weise. Genau diese Gefühle bannte der Künstler eindrucksvoll auf Papier – das ist die grosse Kraft dieses aussergewöhnlichen künstlerischen Vermächtnisses. Das Wichtigste für mich ist, diese Tragödie der heutigen und den künftigen Generationen weiterzugeben, die diesen schrecklichen Krieg nicht erlebt hatten. Und dass diese Bilder entdeckt und beachtet werden.
Die in der aktuellen Ausstellung gezeigten Bilder umfassen einen kleinen Teil des Gesamtwerkes meines Vaters. Bereits 1946, noch im Dienste des 2 Polnischen Korps stehend, begann er mit der Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Rom (Accademia di Belle Arti di Roma) und bei Marian Bohusz-Szyszko, einem polnischen Expressionisten und namhaften Professor für bildende Kunst. Wie alle in Italien gestrandeten Soldaten des 2 Polnischen Korps musste auch er sich entscheiden, wo er künftig leben will. Nach von den Sowjets beherrschten Polen wollte er nicht. Die meisten, auch seine Studienkollegen, entschieden sich für Grossbritannien. Mein Vater empfand unangenehme Gefühle, sich im Land niederzulassen, welches Polen Stalin überliess. Mit dem Angebot eines Stipendiums der spanischen katholischen Stiftung Pax Romana zeichnete sich eine dritte Möglichkeit ab. Er war darüber nicht ohne Vorbehalt glücklich, denn Franco, der Herrscher dieses Landes, war ein Verbündeter Hitlers. Er verwarf schliesslich diese Zweifel, weil in seinen Augen die spanische katholische Kirche nichts mit dem faschistischen Regime zu tun hatte. Mitte November 1946 wurde er demobilisiert und reiste per Schiff von Genua nach Barcelona. Ein neuer Lebensabschnitt begann.
Nach einem mehrmonatigem Aufenthalt in einem spanischen Kloster nahm er an der Akademie der Schönen Künste von San Fernando in Madrid ein Studium auf, welches er nach einigen Jahren mit einem Diplom abschloss. Ich nehme an, dass ihn diese zwar ausgezeichnete, aber künstlerisch eher konservative Schule mehr prägte als sein Studium in Italien, wo er eine eher zeitgenössische Ausbildung erhielt, vor allem bei Marian Bohusz-Szyszko. Neben dem Einfluss alter Meister (z.B. prägte ihn El Greco in seiner religiösen Malerei) setzte er fort, womit er schon in Italien begann: Er malte Landschaften und Städte mit raschen charakteristischen Zügen – oft an einem Tag ein halbes Dutzend ausstellungsreifer Bilder. Obwohl er viele damals aktuellen berühmten Maler wie Picasso sehr bewunderte, waren ihm die Impressionisten näher. Viele seiner Werke müssen den Vergleich mit den Meistern des Impressionismus nicht scheuen. Aber ein Durchbruch als Künstler war ihm zeitlebens nicht gegönnt. Diese posthume Anerkennung könnten Kunsthistoriker nun nachholen.
Von seiner Kunst konnte mein Vater nie leben. Sie war eher ein Nebenverdienst. Den Haupterwerb bildete lange Zeit seine Fertigkeit als Papierplastiker (für Werbezwecke). Die letzten 15 Jahre bis zu seiner Pensionierung wirkte er als Zeichnungslehrer. Begeistert vermittelte er Jugendlichen in der Stadt Zürich künstlerische Fertigkeiten. Seine gesellschaftlichen Verdienste, vor allem für die polnische Diaspora in der Schweiz, werden an anderen Stellen dieser Webseite gewürdigt.
Von seinen Kriegserlebnissen erzählte Vater uns Geschwistern selten. Ich muss jedoch zugeben: Wir fragten ihn selten danach. Und wenn wir ihn fragten, antwortete er, wir sollen seine Erzählungen lesen. Uns direkt zu erzählen fiel ihm offenbar schwer – wie oft bei traumatisierten Kriegsopfern. Vom Charakter her waren mein Vater und ich uns ähnlich: Beide stur. Bei unterschiedlichen Ansichten endete es oft mit einem Konflikt. Diese Einsicht hilft mir, 20 Jahre nach seinem Tod, dieses Thema versöhnlich einzuordnen.
In meiner Jugendzeit öffnete mir mein Vater die Augen für die Schönheit der Künste und ich besuche seither gern Kunstmuseen und -ausstellungen. Sein künstlerisches Vermächtnis begann mich allerdings erst nach seinem Tod so richtig zu interessieren. Diese Schönheit entdecke ich heute zunehmend auch in seinen Arbeiten. Es ist wie ein Samen, der erst nach vielen Jahren treibt. Für diese Saat bin ich ihm dankbar. Und froh zugleich, dass ich ihm etwas zurückgeben kann: eine posthume Würdigung als Künstler und als grossartigen Menschen. Seine während den Kriegsjahren als polnischer Soldat und Künstler entstandenen Arbeiten sind der ideale Einstieg dazu. Die Präsentation seines Kreuzweges von Świętoniowa im Museum von Przeworsk bildet die Fortsetzung dieser Bemühungen. Nun werde ich gefragt, was er sonst noch schuf. Auf dieser Webseite werde ich nach und nach weitere künstlerischen Arbeiten vorstellen. Vielen Dank, wenn Sie von Zeit zu Zeit etwas reinschauen.
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